zwischen dem Buchautor Johannes Herwig („Bis die Sterne zittern“, erschienen im Gerstenberg Verlag) und der Sopranistin Susanne Haupt
Was ist für dich das Wichtigste am Singen?
Für mich ist Singen tönende Emotion und ich kenne keine schönere Form, diese mit Hilfe der Musik hinauszutragen. Musik, sagen Wissenschaftler, imitiere die Emotionen, die in der Sprachmelodie stecken und werde darum auch sofort verstanden. Sie sei eine Sprache des Gefühls und diene dem Bedürfnis, Gemütsbewegungen zu verstehen und wieder zu erkennen. Auch im Hirn werden musikalische Strukturen auf Gefühlsebene verarbeitet. So kann Musik mehrere Menschen in einen gemeinsamen Stimmungszustand bringen. Im Konzert bin ich ja nun neben den Instrumentalist*innen ein Bindeglied zwischen Komponist*in und Zuhörer*in. Doch Konzerte gibt es erst seit ein paar hundert Jahren. Davor war die Trennung zwischen Musiker*innen und Publikum viel weniger strikt. Um heute einen Fluss von mir zum Publikum und zurück, also von Seele zu Seele, überhaupt möglich zu machen, lasse ich meine Lebenserfahrung, meine eigenen Bilder und Empfindungen einfließen und gebe damit etwas von meinem Wesen Preis. Nur so werden die Noten lebendig und ich kann andere gefühlsmäßig erreichen. Darum es ist mir wichtig, stets mit größtmöglicher innerer Beteiligung zu singen. Wenn die Leute mit dem Gefühl nach Hause gehen, die Musik hat etwas in ihnen berührt, bin ich glücklich.
Wo liegt dein Schwerpunkt?
Im Zentrum meines Schaffens steht das Singen Alter Musik, vor allem im kirchenmusikalischen Bereich. Durch meine christliche Prägung habe ich einen engen Bezug zu geistlicher Musik. Meine große Leidenschaft gilt besonders Bachs Werken. Um seine Musik auch hörbehinderten Menschen nahe zu bringen, habe ich das inklusive Ensemble SING&SIGN gegründet, was zu meinem großen Herzensprojekt geworden ist. Daneben ist mir die musikalische Förderung von Kindern ein wichtiges Anliegen. Darum bin ich unter anderem als Kinderstimmbildnerin aktiv. Ja, das sind jetzt drei Schwerpunkte und nicht einer. Ich kann mich wohl nicht für einen allein entscheiden.
Jetzt hast du mich aber neugierig gemacht. Wie kamst du zu diesem Herzensprojekt?
Da gab es mehrere Schlüsselmomente, die mich auf diesen Weg gebracht haben. Nach einer ersten Begegnung in meiner Kindheit -ich verbrachte den Urlaub mit Gehörlosen Kindern- war ich von der Aussagekraft und Schönheit der Gebärdensprache fasziniert. Bei meinem dritten Kind nutzte ich dann zur Kommunikation auch Babyzeichensprache, welche auf der Deutschen Gebärdensprache (DGS) beruht. Neben meinem Wirken als Sängerin, ließ ich mich daraufhin als Kursleiterin ausbilden und leitete jahrelang Kurse, Workshops und Seminare zur Babyzeichensprache. Im Kurs hatte ich dann einaml ein gehörloses Baby und beschäftigte mich damit, Musik für dieses fühl-und sichtbar zu machen. Mir wurde bewusst, dass die Minderheit hörbehinderter Menschen kaum Zugang zu klassicher Musik hat. Beispielsweise finden allein in Leipzig jährlich rund dreißig Weihnachtsoratorien von Bach statt, keine davon ist barrierefrei für Hörbehinderte. Das wird in der breiten Öffentlichkeit kaum wahrgenommen. Dagegen möchte ich etwas tun und diese Tradition auch mit behinderten Menschen teilen um, neben der Aufmerksamkeit für dieses Thema, der Exklusion entgegenzuwirken und Perspektivenwechsel zu ermöglichen. Ich finde es oft unerträglich, wie Minderheiten behandelt werden. Wie eine Mehrheit, allein aus der Überlegenheit der Masse heraus, erwartet, dass sich die Minderheit an sie anpasst. Ich möchte, so gut es geht, den umgekehrten Weg gehen.
Ein positiver Nebeneffekt für das Singen ist das Verbinden von Gesang und Gebärden als eine Art natürliche Einheit von Musik und Bewegung, die im Kunstgesang ja weitestgehend unterdrückt wird. Dabei gehören Gesten ja auch zur Lautsprache dazu. Das ist Befreiung und Herausforderung zugleich.
Du hast ja drei Kinder. Mal zu deiner eigenen Kindheit: Wodurch hast du zur Musik gefunden?
Es gab kein bestimmtes Erweckungserlebnis. Musik begleitet und begeistert mich, soweit ich zurück denken kann. Ich wuchs in einem musikalischen Elternhaus auf. So kamen Freunde meine Eltern regelmäßig zur sogenannten „Singe“ zu uns ins Haus, um gemeinsam Volkslieder zu singen und sie so zu bewahren. Wir Kinder waren mittendrin. Auch sang ich die Kinderlieder, die ich im Kindergarten gelernt hatte, mit sämtlichen Strophen für meine Großeltern auf Kassetten, die wir dann, wenn sie voller Lieder, Gedichte und Alltagserzählungen waren, zu ihnen in die Heimat sendeten, damit sie die Stimmen ihrer Enkel hören konnten. Denn einen Großteil meiner Kindheit verbrachte ich mit meiner Familie in Kairo. Auch die dortigen fremdländischen Klänge, etwa der Gesang der Muezzin, der Klageweiber oder arabische Straßenmusik prägten mich. Zurück in Berlin lernte ich Klavier zu spielen, später in Dresden kam Unterricht in Gesang, Musiktheorie und Ballett an der Musikschule hinzu. Auch war ich dort viele Jahre Mitglied des Mädchenkammerchores.
Wie ging es dann später weiter?
Nach meinem Abitur an der Kreuzschule Dresden studierte ich Gesang an der Leipziger Musikhochschule bei Kammersängerin Prof. Regina Werner-Dietrich. Dort sammelte ich in verschiedenen Hochschulinszenierungen erste Bühnenerfahrung. Der Besuch von Meisterkursen, wie dem von Elisabeth Schwarzkopf oder Thomas Hampson, prägte mich nachhaltig. Gesangliche Impulse hole ich mir seither bei verschiedenen Sänger*innen. Im Laufe der Zeit hatte ich Gelegenheit, vielseitige Erfahrungen als Konzertsängerin im Fach Oper, Operette und Musical zu sammeln. Solistisch zum Beispiel am Landestheater Altenburg oder in verschiedensten Ensembles, wie bei der regelmäßigen Mitwirkung in Produktionen der Musikalischen Komödie Leipzig. Beim Singen vorwiegend geistlicher Barockmusik bin ich schließlich angekommen. Neuerdings eben auch in Verbindung mit Gebärden.
Und heute? Wie kann ich mir deine Arbeit als freiberufliche Sängerin vorstellen?
Meine Arbeit setzt sich aus verschiedenen Teilen zusammen. Momentan nimmt vor allem die Projektleitung von SING&SIGN, das Proben und Konzertieren sowie das Unterrichten als Lehrkraft der Bachmusikschule Leipzig im Projekt SINGT EUCH EIN den meisten Raum ein. Hinzu kommen tägliches Üben, Gesangsunterricht nehmen oder geben sowie die dazugehörigen Verwaltungsarbeiten einer Selbstständigen. Wenn ich Zeit habe, bilde ich mich an der HMT als Gasthörerin in historischem Gesang, Gesangspädagogik und Kinderchorleitung weiter.
Was machst du, wenn du mal nicht singst?
Eine Melodie ist zwar ständig in meinem Kopf, oft sogar Nachts, doch wenn ich Zeit habe, verbringe ich diese mit meiner Großfamilie oder mit Freunden. Ich bewege mich gern, ob beim Swing tanzen, beim Yoga oder bei der Gartenarbeit. Damit bekomme ich den Kopf frei. Außerdem lese ich gern, höre Musik statt welche zu machen, fotografiere mit Begeisterung und liebe es, als Ausgleich, kreativ Dinge mit meinen Händen zu erschaffen, die ich dann, im Gegensatz zur Musik, sehen und anfassen kann. Und manchmal packt mich das Fernweh und ich brauche neue Bilder. Dann reise ich ein wenig, wenn es geht. Bei Konzertreisen oder den jährlichen Treffen der „Musici Jenenses“ auf Hiddensee verbindet und vermischt sich dann Singen und Reisen.